Cora Baden Baden – Hin- und nicht Wegschauen
Der 1994 gegründete gemeinnützige Verein Cora Baden Baden e.V. betreut Betroffene von sexuellem Missbrauch und Gewalt in Baden-Baden. Zur Aufarbeitung traumatischer Erfahrungen durch sexualisierte Gewalt erhalten die Betroffenen kompetente psychotherapeutische Beratung von der Organisation. Neben dem Beratungsangebot arbeitet der Verein zusammen mit anderen Organisationen, um Präventionsmaßnahmen gegen sexuelle Übergriffe zu entwickeln und betreut Opfer während Gerichtsverhandlungen. Wir haben mit der Psychotraumatologin Leska Kaufmann gesprochen, um mehr über Cora zu erfahren.
Geschichte des Vereins
Angefangen hat der Verein als Idee einer Arbeitsgruppe der damaligen Frauenbeauftragten. Festgestellt wurde, dass es neben der offiziellen Stelle der Stadt keine Institution in Baden-Baden gab, die sich um Opfer von sexualisierter Gewalt kümmerte. So entstand die Organisation und man gab ihr den Namen Cora, in Anlehnung an die zwei Bedeutungen des Wortes: “Die Herzliche” und “Das Mädchen”. Heute bestehen keine direkten Verbindungen mehr mit den städtischen Institutionen und Cora agiert unabhängig. Cora steht für alle bereit, die unter Gewalt leiden und berät sowohl Frauen als auch Kinder und Familien, die solche Erfahrungen machen mussten. Viele werden auf die Angebote von Cora über die Webseite aufmerksam, aber Institutionen weisen ebenfalls auf die Beratung des Vereins hin. Landratsämter, Beratungsstellen und auch die Polizei vermitteln oft Gespräche mit Leska Kaufmann für Betroffene.
Opferbetreuung: psychologisch und juristisch
Wie diese Gespräche und die Betreuung aussehen, kann sehr unterschiedlich sein. Im Fokus stehen immer die Bedürfnisse der Betroffenen und diese können verschiedenste Ausprägungen haben. Leska Kaufmann bietet Unterstützung bei allen Sorgen an, die die Betroffenen haben und berät sie kompetent, auch in juristischen Fragen. Viele Gespräche führt sie zum Beispiel mit Betroffenen über den juristischen Prozess den Täter:innen gegenüber. So erklärt sie den Betroffenen, wie Anzeigen erstattet werden, was die Folgen davon sind und wie letztendlich der Prozess abläuft. Viele hätten verzerrte Vorstellungen oder falsche Informationen über die Verhandlungen. Während solchen Strafverhandlungen stehen sich Opfer und Täter:in nicht als Kläger:in und Angeklagte gegenüber, wie es bei einem zivilen Verfahren der Fall wäre. Die Betroffenen sind lediglich als Zeugen geladen und nehmen somit andere Rollen ein. Viele haben auch Angst vor Prozesskosten. Allerdings werden laut der Cora-Mitarbeiterin die Kosten für Opferanwälte vom Staat übernommen. So kann sie Betroffenen oft die Angst vor hohen Kosten nehmen und die Erwartungen an die Folgen des Prozesses eindämmen. “Viele wünschen sich, der kommt für immer hinter Gittern”, erzählt sie uns, “und es sieht (...) in der Praxis ganz anders aus”. Auch ein Freispruch ist möglich, da Taten oft nicht hinlänglich bewiesen werden können.
Sexualisierte Gewalt gegen Kinder
Bei betroffenen Kindern und zum Teil auch bei Erwachsenen ordnen Gerichte meist ein sogenanntes Glaubwürdigkeitsgutachten an. Dies sieht Leska Kaufmann sehr kritisch, da im Zuge eines solchen Gutachtens junge Kinder mit Aufgaben konfrontiert werden, die sie nicht bewältigen können. Ungenaue Wiederholungen von ursprünglichen Aussagen oder ein Ausweichen von Fragen kann hier zum Scheitern des Gutachtens und damit auch des Prozesses führen, meint Kaufmann. Da junge Kinder oft nicht die Fähigkeiten besitzen, genau und detailliert erlebte Szenarien zu beschreiben, fallen solche Gutachten bei Kindern zum größten Teil negativ aus. Traumatisierte Kinder können oft die Geschehnisse, die ihnen passiert sind, nicht wiedergeben, da sie vor dem erneuten Durchleben der schrecklichen Erfahrung fliehen, Details werden verdrängt oder Erinnerungen unbewusst verzerrt. Dieser Selbstschutzmechanismus verhindert allerdings eine exakte Wiedergabe dessen, was passiert ist. “[U]nd dann kommt noch dazu, dass Kindern das Vokabular fehlt.” Seit vielen Jahren fordert Cora Baden Baden e.V. zusammen mit vielen anderen Organisationen und Wissenschaftlern die Abschaffung dieser Glaubwürdigkeitsgutachten, allerdings ohne Erfolg.
Folgen von Trauma
Auch bei Aussagen Erwachsener treten aus psychotraumatischer Perspektive Konflikte bei der Arbeit mit den Ermittlungsbehörden auf. So fordern Polizisten und Ämter, Betroffene oft auf den Tathergang zu erzählen und die Situation zu beschreiben, in der etwas passiert ist. Leska Kaufmann erklärt uns allerdings, dass es für traumatisierte Menschen häufig überhaupt nicht möglich ist, eine kongruente Geschichte zu erzählen. “Die gedanklich-logische Verarbeitung bei einem grauenvollen Erlebnis wird abgeschaltet. [...] Der Körper schaltet alles ab, was im Moment nicht wichtig ist.” Aufgenommen werden nur einzelne Bilder – die allerdings keinen zusammenhängenden Film ergeben – Gerüche, Geräusche, Geschmäcker. “Aber das wird nicht zusammengefügt, sondern einzeln abgespeichert.'' Eine Wiedergabe der kompletten Geschichte ist also für Opfer von Gewalt und sexuellen Übergriffen physiologisch meistens gar nicht möglich.
Erst eine psychotherapeutische Behandlung könnte eine zusammengefügte Geschichte entstehen lassen. Jedoch werden Opfer, die eine Behandlung bekommen haben, vor Gericht diskreditiert. Oftmals gelten therapierte Betroffene als unglaubwürdig, da der Therapeut Einfluss auf die erzählte Geschichte genommen haben soll, wodurch die Aussage der Betroffenen ungültig wird. Somit müssen sich Opfer häufig zwischen einer psychologischen Therapie und ihren Chancen auf einen erfolgreichen Prozessausgang entscheiden.
Häusliche Gewalt
Opfer von häuslicher Gewalt melden sich ebenfallsbei Cora Baden Baden e.V., um Hilfe zu suchen. Leska Kaufmann erzählt uns, dass ihrer Erfahrung nach die vorhandenen Systeme mehr Druck als Hilfe auf die Opfer ausüben. Zufluchtsorte sind schwer zu finden und rar gesät: Frauenhäuser sind meist voll besetzt und oftmals werden Menschen aus Kapazitätsgründen abgewiesen. Auch wenn die Taten noch im Gange sind, sind öffentliche Stellen oft hilflos. Wenn die Polizei einen Fall häuslicher Gewalt feststellt, wird oft zum Mittel des Platzverweises aus der Wohnung gegriffen. Dem mutmaßlichen Täter wird der Schlüssel abgenommen und für einen festgelegten Zeitraum (z.B. 2 Wochen) der Zugang zur Wohnung verboten. Dies soll die Opfer schützen. Die Mitarbeiter:innen von Cora berichten allerdings das Gegenteil. Ausgewiesene Täter kommen wütender und gewalttätiger aus dieser kurzen Pause zurück oder warten vor der Wohnung, bedrohen die Opfer und üben Gewalt aus, die sich nicht auf das Umfeld der Wohnung beschränkt. Oft wenden sich auch Frauen an Cora, die ihre Kinder wieder haben wollen. Sie sind von zuhause weg gegangen, um der Gewalt zu entkommen und mussten ihre Kinder zurücklassen. So ist es sehr sehr schwierig wieder Kontakt zu den Kindern aufzubauen, da der Partner (und gleichzeitig Täter) immer bei den Kindern ist und ein Wiedersehen auch ein Wiederkommen der Gewalt bedeuten kann.
Theater für Prävention
Der Verein legt auch großen Wert auf Präventionsarbeit. In Zusammenarbeit mit der Theaterpädagogischen Werkstatt Osnabrück werden regelmäßig Theaterstücke in Grundschulen aufgeführt, um die Schüler:innen der dritten und vierten Klassen für diese Themen zu sensibilisieren. Das Stück ist aufgeteilt in drei Folgen, die mit einer Woche Abstand stattfinden und von einem Mann und einer Frau gespielt werden. Durch die unterhaltsame und kindgerechte Schreibweise des Stücks soll ihnen vermittelt werden, wie sie sich Hilfe suchen und “Nein” sagen können. Verschiedene Szenarien werden durchgespielt: Online Chat Situationen, Belästigung im Hobby (z.B.: Sporttrainer, Gruppenleiter) oder Familienmitglieder. Begleitet wird das Stück von einem Lied, das sich über den Verlauf der Handlung hinweg erweitert und die Schauspielenden besuchen die Klassen hinterher noch einmal, um Fragen und offene Dinge zu klären.
Wenn Du überzeugt von der Arbeit des Cora Baden-Baden e.V. bist, kannst Du den Verein jederzeit mit Spenden unterstützen. Eine Mitgliedschaft kostet 25€ Euro pro Jahr. Auf der Webseite des Vereins findest Du weitere Informationen, unter anderem zu den Themen Therapie, Traumafolgen und -ursachen.