Kidz Shelter: Die Wahrheit über die Feuerwerksindustrie in Sivakasi, Indien
Aktualisiert: 5. Jan.

Im südlichen Zipfel Indiens liegt eine kleine Stadt namens Sivakasi. Die trockene und staubige Umgebung bietet die perfekten Bedingungen zur Herstellung von Feuerwerkskörpern. Mittlerweile werden dort rund 90% des indischen Bedarfs produziert. Trotz Verboten und staatlichen Versuchen, Kinderarbeit zu bekämpfen, gibt es gerade in der Feuerwerksproduktion einen hohen Anteil an Minderjährigen. Diese Arbeit ist besonders gefährlich und gesundheitsschädigend, da mit explosiven Materialien gearbeitet wird. Um aktiv gegen Kinderarbeit anzugehen, wurde 1969 mit der Dachorganisation Patengemeinschaft für Kinder in Indien e.V. ein Haus gekauft und auf den Namen „Kidz Shelter“ getauft. Dieses Kinderheim stand aufgrund finanzieller Schwierigkeiten vor rund zehn Jahren kurz vor der Schließung. Ein Hamburger Pärchen rettete das Bestehen. Unser Interviewpartner Florian Renz ist 2018 dazugestoßen und vervollständigt das Team.
Mädchenheim bewahrt vor Kinderarbeit

Das Mädchenheim „Kidz Shelter“ bietet Platz für 25 Mädchen zwischen 7 und 16 Jahren. Es wird für das leibliche Wohl und eine medizinische Versorgung gesorgt sowie Unterhalt gewährt. Da die Mädchen keine Kinderarbeit verrichten müssen, können sie sich auf ihre Schulbildung konzentrieren und regelmäßig zur Schule gehen. Darüber hinaus erfahren sie eine kindgerechte Freizeitgestaltung. Das ganzheitliche Konzept basiert hauptsächlich auf den Werten: „Menschlichkeit, Emanzipation und Gleichberechtigung“. Die Zukunftsperspektiven von Kindern und Mitarbeiter:innen soll verbessert und die Selbstbestimmung gestärkt werden. Die „Schutzhütte für Kinder“ ist offen für alle Konfessionen. Das Heim wird jedoch nach christlichen Werten geleitet. Darunter fällt eine neu definierte Rolle der Frau und ein anderes Menschenbild. Weitere wichtige Personen, wie die Köchin, Heimleiterin sowie Leute im Büro und deren Kinder werden mitfinanziert. Die indischen Kolleg:innen sind alle sechs Wochen vor Ort. Sie ermöglichen einen direkten Kontakt mit dem indischen Mädchenheim. Sie geben Rückmeldungen zu Aspekten, wie der Finanzlage, dem Zustand der Kinder und Updates über die aktuelle Renovierung. Hamburger Teammitglieder besuchen das Heim in der Regel einmal im Jahr auf eigene Kosten.
Zunächst werden meist die Lehrer aufmerksam, die sich dann bei den Kinderheimen melden. Die indischen Kolleg:innen, vor allem Heimmutter Nicha, nehmen anschließend Kontakt mit den Familien auf. Nicha kämpft vor allem für weibliche Ideale und schafft es, in den Heimen das traditionell indische Frauenbild zu brechen. Da der Kontakt zu den Familien nicht verloren gehen soll, kann das Heim als „Familienersatz“ auf Zeit gesehen werden. In den Schulferien oder auch am Wochenende kehren viele Kinder wieder in ihre Familien zurück. Nach ihrem Abschluss können sie in eine Ausbildung gehen oder studieren, was auch von der Organisation mitfinanziert wird. Es kommt jedoch vor, dass manche Kinder im Anschluss wieder in den alten Verhältnissen wie früher leben. Dennoch sind alle Mitwirkenden, eingeschlossen der Eltern, über jeden Erfolg dankbar.
© Kidz Shelter
Das Projekt muss aufgrund der äußeren Einflüsse krisensicher sein: Die in Indien herrschende Inflation und die damit einhergehende Ungewissheit, die begrenzten Heimplätze sowie fehlenden finanziellen Mittel für eine neue Unterkunft. Auch die Corona-Pandemie war für das Kidz Shelter schwer. Indien kämpfte zu Beginn mit hohen Infektionszahlen, sodass Heime zeitweise schließen mussten. Die einheimischen Kolleg:innen und die Heimleiterin betreuten Kinder zu Hause. Doch durch die herausfordernde Zeit haben sie viel gelernt und unter anderem Telelearning eingeführt und Kinder sowie Mitarbeiter:innen mit Tablets ausgestattet. Die Kommunikation mit den Kolleg:innen vor Ort konnten nun im virtuellen Raum stattfinden. Alles in allem ein „mega Digitalisierungsschwung, der uns Corona gebracht hat“.
Das Karma Prinzip und christliche Werte
Karma ist ein Grundgedanke der hinduistischen Philosophie und bedeutet „handeln“. Ursprünglich bezog sich der Begriff auf eine rituelle Tat: Auf alles, was du tust, folgen entsprechende Resultate. So ist jede Person selbst für den eigenen sozialen Status verantwortlich, da die Wiedergeburt darauf basiert, was im vorherigen Leben erarbeitet wurde. Somit hält sich die Hilfsbereitschaft wohlhabender Menschen in Grenzen, da es sich benachteiligte Personen durch schlechtes Verhalten im vorherigen Leben verdient haben. Das christliche Menschenbild, welches im Kidz Shelter etabliert wurde, soll helfen, den Gedanken von Nächstenliebe zu pflanzen. Es soll das Bewusstsein schaffen, dass bedürftige Menschen es wert sind, Hilfe zu empfangen. In ärmeren Bildungsschichten werden in der Regel häufig nur die Jungen zur Schule geschickt. Daher sind Mädchen besonders von Kinderarbeit gefährdet. Aufgrund von Traditionen sind Mädchen weniger wert als Jungen. Es wird vom Vater erwartet, dass er bei einer Hochzeit die Mitgift finanziert. Wenn er mehr als ein Mädchen bekommt, gilt er automatisch als „pleite“. Deswegen werden sie möglichst schnell in die Kinderarbeit gebracht. Diese Familien sind teilweise völlig „kaputt und fertig“.
Wer ist Florian Renz?

Anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2018 belegte Florian Renz den ersten Platz bei einer internen Wette seines Arbeitgebers. Er gewann ein stattliches Preisgeld und machte sich auf die Suche, nach einer sinnstiftenden Investitionsmöglichkeit. Auf Better Place wurde er fündig. Seine Wahl fiel auf das „Kidz Shelter“, welches in seiner Nachbarschaft in Hamburg angesiedelt ist. Nach seiner Spende kam er in Kontakt mit den bisherigen Projektverantwortlichen. Da Florian Renz ein Experte im Marketing ist, war er bereit, seine Fähigkeiten einzubringen. „Nichts leichter als das.“ Nun engagiert er sich tatkräftig neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit für die Kinder in Indien. Seine Mission ist es, das Projekt sichtbarer zu machen und andere davon zu überzeugen. Darüber hinaus ist er im Vorstand der Dachorganisation „Patengemeinschaft für Kinder in Indien e.V.“, welche insgesamt 28 Heime und Einzelpatenschaften betreuen. Trotzdem bleibt das Kidz Shelter sein „Herzensprojekt“. Vor seinem ersten – und aufgrund Corona einzigen – Besuch in Indien war er davon überzeugt, durch seine Reiseaffinität bereits viel gesehen zu haben. Jedoch hatte diese vierwöchige Reise nach Sivakasi einen ganz anderen Charakter. Im Kinderheim wurde er von aufgeregten Mädchen begrüßt. Die Atmosphäre war warm und einladend, überall hingen selbstgemalte Bilder. Sie hatten sich besonders hübsch für den seltenen Besuch aus Deutschland gemacht. Gemeinsam verbrachten sie die Zeit mit Spielen, Musizieren und Gesprächen. Florian Renz erzählte seinen gebannten Zuhörerinnen vom Schnee in Deutschland und spielte das altbekannte Lied „Alle meine Entchen“ auf dem Keyboard. Spaß und Freude kamen selbst beim Essen nicht zu kurz. Während die Mädchen mit gekonnten Handbewegungen das typisch indische Essen aßen, landete bei Florian Renz – ganz zur Freude der Kinder – das Essen überall, nur nicht im Mund. Diese „unfassbar schönen Erlebnisse“ und Erfahrungen sind für ihn das schönste Geschenk im Zusammenhang mit diesem Projekt. Sobald er das Heim jedoch wieder verließ, wurde er direkt wieder von der harten Realität Indiens eingeholt. Seine nächste Reise ist bereits für Februar 2023 geplant

Getreu dem alljährlichen Motto der Organisation, kannst Du dieses Jahr „Spenden statt Böllern“! Setze Dein Geld für einen nachhaltigen Wandel ein und verschenke Freude. Jeder einzelne Euro hilft und kommt den Mädchen in Sivaskasi zugute. Dies wird durch das DZI Zertifikat garantiert. Du möchtest noch mehr erfahren? Schau dir das Projekt auf ihrer Website, auf Facebook oder Instagram an.
Schreib uns in den Kommentaren, wie Du dieses Silvester verbringen wirst.